CHANGE


Eine künstlerische Wertschätzung des Cluetrain-Manifest

Das Projekt CHANGE zielt geradewegs in die Beobachtung, Analyse und Durchbrechung existierender Wert- und Preissetzungen der bestehenden Ordnung und kann darüber hinaus neue Entscheidungen der Bewertungen treffen. Werte werden beobachtet, verteilt, unterstützt, geschöpft, verändert.

Der Tauschplatz als interaktive Rauminstallation
In der architektonischen Sprache eines Supermarktes oder einer Wechselstube wird ein Tauschplatz eingerichtet, um hier als Werte betrachtete "Dinge" wie Waren, Dienstleistungen, Kunstwerke, Ideen, Informationen, Beobachtungen, Talente etc. zusammenzutragen und diese als Werte betrachtete Dinge gegen andere, sich auf dem Tauschplatz aufhaltende Dinge auf der Basis 1:1 einzutauschen.

Das Forum als interaktiver Gesprächsraum
Sowohl ausgewählte Persönlichkeiten aus den verschiedensten Berufen als auch ein nicht weniger besonderes Publikum werden zum Thema eingeladen. In parlamentarischer Diskussions- und/oder Streitstruktur prallen die Thesen der Einzelreferenten auf ein fragendes und neugieriges Publikum. Innerhalb eines Dissenzraum findet eine Aus-Ein-Andersetzung statt.





"Niemals zuvor [...] hatten die Leitmotive 'wirtschaftlicher Erfolg', 'Profitabilität' und 'persönliche Bereicherung' einen derart kultischen Rang wie am Ende der 90er Jahre." [1] Ökonomisches Denken, so scheint es, dominiert alle Bereiche der Gesellschaft:
Geld, Kosten und Spareffekte, Renditen, Schulden und betriebswirtschaftliche Effizienz leiten als Management-Kategorien das Verhalten selbst von Behörden, Museen, Ärzten und Krankenkassen. "Selbst der Papst scheut sich nicht, für jeden Segen bei einer individuellen Audienz 5000 Lire zu verlangen." [2]

Geldmärkte haben sich in "Spielhöllen für Finanzakrobaten und Abenteurer" [3] verwandelt:
Hatten sich Ende der 80er Jahre nur fünf Prozent des deutschen Sparvermögens mit einem Wert von 171 Milliarden Mark in Aktiendepots angesammelt, so waren es 1998 bereits acht Prozent zum aktuellen Kurswert von über 500 Milliarden Mark bzw. rund 230 Milliarden Euro. [4] Zudem wird die Auswahl an Wertpapieren immer größer: 1998 waren an den deutschen Aktienmärkten nur 70 Neuemissionen notiert, 1999 drängten bereits 100 Unternehmen neu an die Börse.

Im Jahre eins des neuen Jahrtausends blühen die Diskussionen über die New Economy, über e-commerce, Neue Technologien und den Neuen Markt. Aktienrausch, Internet-Hype, Geld- und Börsenfieber. Jeder möchte an diesem "Spiel" nach Möglichkeit erfolgreich teilnehmen und setzt in die Ideen anderer.
Parallel wird von den vier amerikanischen Marketing-Profis Christopher Locke, Rick Levine, Doc Searls und David Weinberger das Cluetrain-Manifest ausgerufen, das den Menschen in den Mittelpunkt der Welt rückt:
"Märkte bestehen aus Menschen, nicht aus Zielgruppen." [5]
95 Thesen, "die oft so simpel sind, dass niemand sie auch nur aussprechen würde". [6] Wie beispielsweise: "Gespräche zwischen Menschen klingen menschlich. Sie werden mit menschlicher Stimme geführt." Oder: "Auf Misstrauen lassen sich keine Gespräche aufbauen."
Die Welt der New Economy besteht aus neuen Menschen. Und die Zauberworte heissen:
neue Werte, neue Umgangsweisen, neue Allianzen, neue Strukturen, neue Bedürfnissen, neue Ziele.
"Wir können die Welt verändern, denn die Welt gehört uns." [7]

Geld und Wertigkeit

"Geld ist, was gilt", so der Vorstandsvorsitzende der Stadtsparkasse Köln, Gustav Adolf Schröder.
Geld, in dessen Lautbild sich etymologisch-semantisch "gelten" und "gültig sein" versteckt, ist an der Suche nach dem neuen Wertekanon, der Einschätzung und dem Zugeständnis von Wertigkeit unmittelbar beteiligt.
Als ein pragmatisches Tausch- und Verrechnungsmittel wirft Geld kulturelle Fragen auf und bündelt transzendentale, transformatorische und virtuelle Bedeutungen. Neue (oder sind es doch alte?) Formen der Vermittlung z.B. über (virtuelle) Auktionshäuser und Tauschgeschäfte im Internet von Musikdateien (Napster) bringen die alten Ordnungen und Verteilungen durcheinander.

Ehemals einander ausschliessende Faktoren, Arbeitsbereiche und Wertschätzungen wie künstlerische Kreativität und profitorientierte Arbeitsökonomie sind auf einmal zusammen denkbar.
Wurde der Hannoveraner Künstler Timm Ulrichs vom örtlichen Finanzamt noch Ende der 60er Jahre als "Hobbykünstler" eingestuft, weil es ihm "an einer Gewinnerzielungsabsicht mangele", gründeten A.S. Wünkehaus und Rudi Frings Mitte der 90er Jahre die &quo;Global Human AG", die mit der "Ethik-Aktie, der Ethik-Credit-Card und dem Erasmus-Emergenz-Fallindex" die Wertigkeit von Humanität festzustellen suchte. Oder liess sich der kubanische Künstler Jorge Pardo vor zwei Jahren sein Wohnhaus in den Hills von Los Angeles vom Museum of Contemporary Art, L.A. finanzieren, das sich zu 49 Prozent im Eigentum des Museums befindet, aber das auf künstlerischer Ebene (erfolgreich!) nach den Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Räumen forscht.

Wertschätzung und Wertschöpfung, Gültigkeiten und Setzungen rücken in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen und zielen direkt in das Zentrum des Interesses an einer Neukonfiguration der Welt bzw. an einer Teilnahme an der Neukonfiguration der Welt.
Ökonomen, Technologen und Politiker bemächtigen sich des Themas und suchen Kontakt zu Denkern, Forschern und Künstlern, die in ihrem Schutzraum des Möglichen das Machbare vorbereiten.

Das Projekt Change
Das vorgestellte Projekt zielt geradewegs in die Beobachtung, Analyse und Durchbrechung existierender Wert- und Preissetzungen der bestehenden Ordnung und kann darüber hinaus neue Entscheidungen der Bewertungen treffen.
Werte werden beobachtet, verteilt, unterstützt, geschöpft, verändert.

Der Tauschplatz als interaktive Rauminstallation
In der architektonischen Sprache eines Supermarktes oder einer Wechselstube wird z.B. in den Räumen eines Museumsgebäudes oder in einem im städtischen Raum installierten Container ein Tauschplatz eingerichtet.
Die Installation übernimmt die Aufgaben eines Tauschplatzes, da hier als Werte betrachtete "Dinge" wie Waren, Dienstleistungen, Kunstwerke, Ideen, Informationen, Beobachtungen, Talente etc. zusammengetragen, besser von den Nutzern des Tauschplatzes abgelegt werden. Diese als Werte betrachtete Dinge können gegen andere, sich auf dem Tauschplatz aufhaltende Dinge auf der Basis 1:1 eingetauscht werden.
Das bedeutet, dass Frau Müller (Internet-Expertin) den business-Plan einer e-commerce-Plattform anbietet, sie im Gegenzug an der Dienstleistung von Herrn Schröder (Besitzer eines Getränkelieferservice) interessiert ist, der für ein Jahr einen Haushalt mit Getränken beliefert, diesen Service auch im Internet anbieten möchte. Der Trendscout Harry Horx bietet frische Informationen aus dem Londoner underground an, für die Herr Springe (Geschäftsführer einer Werbeagentur) Interesse zeigt, da diese seine nächste Werbestrategie beeinflussen könnten. Herr Springe bietet im Gegenzug der Freundin von Harry ein Praktikum in seiner Firma an. u.s.w.u.s.f. Besucher erhalten so andere Objekte oder Leistungen gegen eigene Objekte oder Leistungen und schaffen eine persönliche Wertschätzung. Alles kann mit allem getauscht werden, ein Bild gegen eine Dienstleistung, eine Idee gegen eine Armbanduhr.
Auf diesem Umschlagplatz ist der Aspekt der Wertschätzung und Wertschöpfung, der Zielsetzung von Tauschmassnahmen und der gesellschaftlichen Bewertung von Leistung unmittelbar zu beobachten. [8] Verschiedene Personen aus verschiedenen Öffentlichkeiten treten nicht nur in einen direkten Tausch, sondern auch in ein kommunikativen Austausch, ohne dass der Effekt des Geldes struktureingreifend wirkt.

Das Forum als interaktiver Gesprächsraum
Sowohl ausgewählte Persönlichkeiten aus den verschiedensten Berufen als auch ein Publikum werden zum Thema eingeladen. In parlamentarischer Diskussions- und/oder Streitstruktur prallen die Thesen der Referenten auf ein fragendes und neugieriges Publikum.
Innerhalb eines Dissenzraum findet eine Aus-Ein-Andersetzung statt.
Die eingeladenen Referenten erfüllen ihren Ruf als Fachleute, als Repräsentanten der New Economy und New Culture, aber auch der Old Economy und der Traditionen, als Wissens- und Meinungsträger, als mal mehr, mal weniger innovative Mitgestalter von Gesellschaft, Ökonomie, Kunst und Kultur, als Förderer von Plänen und Visionen, aber auch als Erhalter von Konventionen.
Das Forum als Kommunikationsstruktur eröffnet einen gemeinsamen Begegnungs- und Austauschraum und darüber hinaus die Entwicklung werte-, alters- und einkommensübergreifender Netzwerke.



[1] Stefan Welzk, Geld regiert die Welt. Aber wie?, in: Das liebe Geld, hrg. v. Karl Markus Michel, Ingrid Karsunke und Tilmann Spengler, Kursbuch 130, Berlin 1997, S. 13.
[2] Jürgen Raap, Money makes the world go round, in: Kunstforum 149, 2000, S. 47.
[3] Stefan Welzk, a.a.O., S. 15.
[4] Harte Fakten und Gefühl, in: Der Spiegel, 53/1998, S. 64.
[5] brand eins, Wirtschaftsmagazin, 03/2000, S. 7.
[6] Peter Lau, Eine leise Einladung, in: brand eins, 03/2000, S. 16.
[7] www.cluetrain.com
[8] Die Kreativität von Timm Ulrichs, die noch Ende der 60er vom Finanzamt gering eingeschätzt wurde, stellte sich in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen Ende der 90er in gänzlich anderer Wertschätzung dar. So ist Ulrichs im Kunsthandel und in seiner Öffentlichkeitspräsenz bei weitem kein unangesehener und erfolgloser "Hobby"-Künstler.



Idee und Konzeption: Birte Kleine-Benne, 2001, für das Kunstkartell.
Alle Rechte vorbehalten: Kunstkartell.