Die Pyramide



I. Bitte stellen Sie sich folgende Situation vor

II. Die Pyramide
II.1. Die Architektur
II.2. Das Netzwerk
II.3. Die Struktur
II.4. Der Nutzen

III. Allgemeine Betrachtung



I. Bitte stellen Sie sich folgende Situation vor:
Sie stehen inmitten der Alster in Hamburg oder auf dem Genfer See, irgendwo auf der Themse oder dem Hudson-River. Wohlgemerkt auf, denn Sie stehen auf einem Holzsteg. Dieser Steg fuehrt Sie entlang an rot-weiss gestreiften Liegestuehlen in ein kristallenes Bauwerk - Eine Pyramide aus Glas.
Sie treten in die Pyramide ein und es eroeffnet sich ein weitlaeufiger Raum, der lichtdurchflutet ist, der Sie den Himmel sehen laesst, der Platz schafft. Eine Hostesse begruesst Sie mit einem freundlichen Laecheln. Sie koennen frei atmen und fuehlen sich auf Anhieb wohl. Sie sind umgeben von Kindern mit gameboys in der Hand, die auf einem frisch gemaehten Rasen sitzen - der Geruch haengt noch in der Luft -, von Omas mit absurden Gehhilfen, die vor Computer-Terminals stehen und das Internet fuer sich entdecken, von Geschaeftsmaennern und -frauen mit Laptops in der Hand, die engagiert neue Wirtschaftsideale vertreten, von wissbegierigen, im Internet-Separé nach Loesungen suchenden Doktoranden, von ahnungslosen und diskutierenden Teenagern.
Richtung Sonnenuntergang ist eine Lounge abgetrennt. Sie halten einen Moment inne und entscheiden sich, noch einen frischgepressten Orangensaft zu trinken. Sie nehmen Platz und sehen die Sonne untergehen. Das Licht der Pyramide taucht sich in ein Orange-Violett-Rot - die Abenddaemmerung. Sie kommen ins Gespraech mit einer aelteren Dame, die Ihnen anvertraut, wie sehr sie sich tagtaeglich darueber aergert, nicht mehr richtig laufen zu koennen. Auch ihre Gehhilfe wuerde ihr Fortkommen eher verhindern, so paradox wie das klingt...
Sie verlassen nachdenklich die Lounge und begeben sich Richtung Fahrstuhl. Dabei kommen Sie an Videoprojektionen vorbei, auf denen einzelne Menschen in Grossaufnahmen ueber Humanitaet sprechen, ueber ihre Sehnsuechte und Lebenswuensche. Ihnen allen ist eins gemeinsam - nehmen Sie im Vorbeigehen wahr -, die Sehnsucht nach etwas schoenerem und besseren.
Mit diesem Gedanken betreten Sie gemeinsam mit einem Paar den Fahrstuhl und druecken den Knopf floor 3. Im Zweiten verlaesst Sie das Paar. Sie erhaschen einen Blick in ein Restaurant, das sich grosszuegig ueber die Etage spannt. Weisse Tischdecken, weiss beschuerzte Oberkellner, in der Mitte ein staehlerner Kuechentresen, an dem eilige Koeche ihre Steaks braten. In diesem Moment schliesst sich die Fahrstuhltuer - zum Glueck, hat Sie doch nicht mehr der Gedanke erwischt, zu Abend essen zu wollen.
Denn auf floor 3 erwartet Sie schon Ihr Gespraechspartner. Er haette einen Konferenzraum fuer die naechsten zwei Stunden gemietet. Durch ein Pixelgewitter an Farben und Formen - Sie stellen aufmerksam interessiert fest, dass Videoprojektoren die Pixel ausspeien - gehen Sie in einen Raum, der ebenfalls Richtung Westen angelegt ist. Er wuerde das wechselnde Licht in Hamburg so lieben, sagt Ihr Gespraechspartner und bittet Sie, Platz zu nehmen. Zu viele verlockende Angebote: ein Ledersofa, ein Stuhl mit einer Husse uebergeworfen, eine konstruierte Sitz- und Arbeitskombination aus weissem Holz. Man entscheidet sich gemeinsam fuer das Ledersofa, um sich nahe zu sein. Ob Sie die Farben der Abenddaemmerung verstaerken oder das Originallicht geniessen wollen wuerden, werden Sie gefragt. Verstaerkte Farben? Warum nicht. Ihr Gespraechspartner betaetigt einen Schalter und der Raum taucht sich in ein Licht, das die Farben am Horizont aufgreift. Fuer die naechsten zwei Stunden sollen Sie den Eindruck haben, dass der Sonnenuntergang kein Ende findet. Durst, Hunger? Sie erinnern Ihre vergebene Chance und bitten um etwas Sushi, einen Hamburger, eine Guacomole und ein Maibock. Kein Problem. Und Sie und Ihr Gespraechspartner gehen gleich zur Sache.
Patentierung von Neuerfindungen. Probleme mit dem Monopolisten orthopaedischer Hilfsinstrumente. Fehlende Vertriebswege. Fehlende Entwicklungen. Ob Sie eine Idee haetten... Was sagte die aeltere Dame im Erdgeschoss? Paradoxe und unnuetze Erfindungen? Natuerlich haben Sie eine Idee. Tausende Ideen. Sie sprudeln nur so ueber und hoeren sich darueber reden, wie gerechter die zukuenftige Welt sein muss. Und das sie nicht so weit entfernt sei. Sushi, Hamburger.
Ein Mojito zum Abschluss besiegelt das Geschaeft. Sie muessten jedoch noch mit Ihren Geschaeftspartnern in New York die Sache klaeren. Die seien fuer die technische Umsetzung der Internetloesung zustaendig. Kein Problem. Morgen um diese Uhrzeit koennte eine Lifeschaltung zu den Kollegen erfolgen, Sie sollten sie zu dieser Zeit in die Pyramide auf dem Hudson-River bitten. Ein Raum koennte angemietet werden. Technik und Uebersetzungsservice inklusive. Meine Guete, denken Sie, ein Ort, an dem alle Probleme ausser Kraft gesetzt sind? Und Sie dachten, dass der erst erfunden werden muesste.
Ob Sie Ihren Gespraechspartner zur Vernissage im 4. begleiten wollen wuerden. Ein Videokuenstler aus Suedafrika zeigt seine Arbeiten - William Kentridge? Sie haetten die Arbeiten schon auf der documenta gesehen und seien zutiefst beeindruckt gewesen. Denn Sie erinnern die aeltere Damen im Erdgeschoss und fuehlen, noch ein Gespraech fuehren zu muessen. Ihr Gespraechspartner bringt Sie zum Fahrstuhl, bietet Ihnen noch ein boarding-Zimmer im 5. Floor an, dass Sie dankend ablehnen, haben Sie sich doch im 'Vier Jahreszeiten' eingemietet, wo Sie doch schon in Hamburg weilen. Man verabredet sich fuer den naechsten Sonnenuntergang und verabschiedet sich. Er haette neben anderen Visionaeren sein (rent an) office in einer der oberen Etage der Pyramide, dort aber Richtung Osten, da er gern schon frueh zu arbeiten beginnen wuerde und er das wechselnde Licht in Hamburg liebt. Ausserdem sei diese Etage bewaldet und ihm wuerde das Klima gut tun.
Sie nehmen den Fahrstuhl und freuen sich darauf, der aelteren Dame zu begegnen, um ihr Ihre Idee anzuvertrauen. Und um sich bei ihr zu bedanken fuer den Gedanken, den sie in Ihnen ausgeloest hat, und die sich zu einer grandiosen Idee in den letzten zwei Stunden entwickelt hat. Sie finden die Dame nicht mehr. Der einzige Vermouthstropfen des Abends - aber sonst waere es auch zu schoen geworden - zu unrealistisch - wie im Maerchen. Und das ist es nicht...
Sie gehen entlang an den Computer-Terminals im Erdgeschoss, vorbei an der Treppe zur Bar im Untergeschoss, und erfahren, dass heute im Spaetprogramm des Cinemaxx' der Film "Gladiator" lauft. Das waere ein grossartiger Abschluss dieses Tages. Schnell ein Ticket online gebucht. Oder doch lieber in die Nachtinszenierung am Thalia-Theater, fuer das der Nachbarmonitor wirbt? Sie bleiben beim Gladiator, der ist Ihnen heute naeher... Ach, und in New York ist es gerade Mittagszeit, informiert sie eine Zeitansage. Schnell noch eine email an die Kollegen, dass das Gespraech ausserordentlich erfolgreich verlaufen sei und sie sich auf den morgigen Tag freuen wuerden...

II. Die Pyramide
Die Pyramide ist ein einzigartiges Gebaeudeprojekt, das nicht nur den Herausforderungen der Zukunft gerecht wird, sondern das die Zukunft regelrecht herausfordert. Die Moeglichkeiten einer globalen Kommunikation schreiten technologisch immer weiter voran. Der technologische Fortschritt ist aber nach wie vor nicht in einen tagtaeglichen (Lebens- und Arbeits-) Ablauf eingebunden. Das Projekt begegnet dieser Beobachtung mit den Fragen: Wie wuerden Sie am liebsten arbeiten? Wie wuerden Sie am liebsten leben? In einem abgeschotteten Raum oder geschuetzt in der Natur? In einem starren System oder je nach Beduerfnis, zurueckgezogen oder kommunikativ?
Und stellt folgende Aspekte in den Vordergrund:


II.1. Die Architektur
Oekonomie und Oekologie sind keine Gegensaetze. Sie ergaenzen und bedingen sich.

II.2. Das Netzwerk
Die Pyramide ist nicht nur ein Ort, an dem Kommunikation stattfindet. Sie ist der Inbegriff von Kommunikation und vernetztem Denken, denn sie setzt konsequent diese Idee bis ins Detail um:

II.3. Die Struktur
Die Bereiche Arbeit, Entspannung, Kultur und Freizeitgestaltung werden sich in ihrer Zusammenfuehrung ergaenzen und gegenseitig foerdern. Die innen- und architektonischen Loesungen stellen zeitgenoessische Kommunikation in einen erlebbaren, angenehmen und verstaendlichen Zusammenhang. Die Ebenen siedeln sich in ihren Funktionen nach Geraeuschintensitaet an.

II.4. Der Nutzen
Die Vorteile des Projekts fuer die Menschen und die Umwelt sind ausfaehrlich beschrieben. Zudem
III. Allgemeine Betrachtung
Das vorliegende Projekt ist ein vernetztes Arbeits- und Lebensgesamtkunstwerk, das seine Aufmerksamkeiten auf Zwischentoene und Zwischenraeume setzt.
In Hamburg, Berlin, Genf, London, New York und Tokyo entstehen jeweils auf dem Wasser Pyramiden, die als architektonische und soziale Orte den Veraenderungen im Zeitalter der Internetkommunikation und - technologie nachkommen. Sie entgegnen den Vorwuerfen der Vereinsamung, Entfremdung und sozialer Unfaehigkeit, der Vollkontrolle, der glsesernen Menschen und Informationssucht. Als Ursache hat man sich auf die zunehmende Digitalisierung der Welt verstaendigt. Meinungen, die in den Koepfen der Menschen spuken, die aber wegen ihrer Unsinnigkeit, Kurzfristigkeit und Unlogik nicht unterschaetzt werden sollten. Denn: die Gesellschaft hat sich auf diese Grundannahme geeinigt und die Einigung auf eine Vereinbarung stattet mit Kraft und Macht aus.
Das vorliegende Projekt widmet sich diesem Vorurteil: In der Pyramide findet Vereinsamung, Entfremdung und soziale Unfaehigkeit schlichtweg nicht statt, denn die Pyramide eroeffnet Kommunikation, Bedeutung, Emotionen, sinnliches Erleben, Aufenthalt, Verweilen. Dabei ist nicht die Rede von Traumwelten, von "Traumwelten perfekter Erscheinungen, perfekter Beziehungen, perfekter Familien, perfekter Persoenlichkeiten, perfekter Karrieren, perfekter Pizzen, perfekt gezapfter Biere und perfekter Imperfektionen"..., - sondern von realisierbaren, denkbaren, formbaren und sich auf Untersuchungen stuetzenden Massnahmen.

Die Pyramide erzaehlt die Geschichte der energiesparenden, traditionsinteressierten, kreativen, kuenstlerischen, poetischen, arbeits- und beduerfnisorientierten Architektur, die Multimedia aus der abstrakten Bedeutung herausloest und technische Innovation in einen aktuellen, gegenwartsbezogenen Kontext stellt. Technik wird erlebbar und kann ihrer grundsaetzlichen gesellschaftliche Bedeutung nachkommen. Schon lange ist ein Raum gefordert, der die schoepferischen und mehrdimensionalen Moeglichkeiten (in) der Welt aufnimmt, der sich der neu konfigurierten menschlichen Wahrnehmungsfaehigkeit annimmt, der sich das sinnliche Erleben (nicht der Konsumtion) der neuen Technologien zum Thema macht und der sich um die Achse Zeit und Verweildauer erweitert.

Der Raum der Pyramide vermittelt neue Erfahrungen und Emotionen, produziert Dichte, Mehrdimensionalitaet und Vielschichtigkeit, zeigt sich in Bewegung und Veraenderung und verknuepft Bereiche, die vorgeblich nicht vereinbar sind wie Technik und Emotionen, Virtualitaet und Realitaet, Virtualitaet und Sinnlichkeit.
Rolf Jensen, Direktor des Copenhagen Institute for Future Studies, macht in seinem Buch "The Dream Society" auf die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels aufmerksam. Er sieht das Ende der technologiebasierten Informationsgesellschaft heraufziehen, die ihren Nachfolger in einer von Geschichten getriebenen Gesellschaft der Imaginationen findet. Zur Hauptaufgabe eines Homo narrans wird das Storytelling, dessen Phantasien und Emotionen angesprochen werden wollen. (Sie erinnern die Geschichte...?!)
Zudem weist Jensen auf die sechs Maerkte und Profile hin, die in Zukunft zur Bedienung anstehen: den Markt fuer massgeschneiderte Abenteuer; den Markt fuer Zusammengehoerigkeit, Freundschaft und Liebe; den Markt der Fuersorglichkeit; den Wer-bin-ich-Markt; den Markt fuer geistige Entspannung; den Markt fuer Werte und Ueberzeugungen. Die Pyramide koennte in der Lage sein, diesen sechs, von Jensen aufgestellten Maerkten bzw Profilen nachkommen zu koennen: Man fuehlt sich zusammengehoerig, man identifiziert sich mit seinem Aufenthaltsort, man kann sich entspannen und gleichzeitig inspirieren, man ist ueberzeugt von vernetzten Welten, man integriert die in der Pyramide umgesetzten Werte in die eigene Arbeits- und Lebensweise, man meint, aufgehoben und verstanden zu sein.

Das Projekt der Pyramide verdeutlicht, wie real die virtuelle Welt und wie virtuell die reale Welt schon heute ist. Denn die eigene Konfiguration ist durch die neuen Technologien schon laengst veraendert und die Grenzen verfluessigt.
Die Vernetzung und Durchdringung der sog. realen mit der virtuellen Welt bzw. der virtuellen mit der realen Welt hat bereits stattgefunden.



Textrechte: Kunstkartell; Birte Kleine-Benne und Julia Hennings, 2001
Projektrechte: Dr. Bruno Hollnagel